Verschiedenes ist in diesem Jahr zum ersten Mal in meinem Leben passiert. Ich habe angefangen, Hatha Vinyasa Yoga zu praktizieren, und habe bereits festgestellt, dass ich nicht tief einatmen kann. Offenbar habe ich mein ganzes Leben lang nicht tief geatmet. Das zu akzeptieren fiel mir schwer, denn ich hatte immer das Gefühl, dass ich die Welt um mich herum bis zur Schmerzgrenze fein empfinde,und daher vollständig atme, um genug Kraft zu haben, damit umzugehen. Denn wo es fein ist, kann es auch reißen. „Du fühlst alles, als ob du ein freiliegender Nerv wärst“, sagte Dima. „Du bist der freiliegende Nerv.“ Wie sich aber herausstellte, konnte ich all die Jahre nicht tief durchatmen. In einer der Yoga-Stunden wurde ich gebeten, Luft aufzunehmen, weiter und weiter und tiefer… Da stieß ich an die gleiche Grenze: In mir begann sich schnell ein „Ventil“ selbst zu verdrehen. So war es immer zuvor, so sollte es normal sein, anders kann es nicht sein. Mir stand eine lange Reise bevor, um an meiner Atmung zu arbeiten, und vielleicht ist sie noch nicht vollständig abgeschlossen. Doch jetzt, nach dem Yoga-Kurs, geht die Luft in mich hinein und weiter und weiter. Was gibt es noch hinzuzufügen? Der Nerv konnte sich nicht noch stärker entblößen. Es wurde für mich aber einfacher, mit der umgekehrten dunklen Seite dieser inneren Einstellung, für die ich dankbar bin, umzugehen.

Parallel zum Yoga begann ich, intensive Schwimmkurse zu besuchen. Ich konnte bereits mehr oder weniger schwimmen, aber das reichte nicht aus, um meinen langgehegten Traum zu erfüllen – ein Surfbrett in die Hand zu nehmen. Bei allem gibt es natürlich eine Vorgeschichte. Ich habe immer nach dem Gleichgewicht zwischen dem Führen eines Bürgerlichen Lebens und dem schmerzhaften Verlangen nach einem Ausbruch in die Steppenlandschaften am großen Gewässer gesucht. Die andere Tatsache ist, dass ich nie an die Menschheit als an eine Art mit einer besonderen Bestimmung geglaubt habe. Daher glaubte ich nicht an die auf den Ruinen der Natur errichtete technogene Zivilisation.
Was will der Mensch? Was treibt ihn an? Warum das alles? Kreuzungen durchquerend, gehen wir geschickt aneinander vorbei und laufen durch Stadttunnel, wo der abgestandene Geruch und die Kirchenakustik zusammentreffen. Auf die Stoßlinie von Schatten und Licht geworfen, Nomaden aus den Ländern von Fabrikschornsteinen, medizinischen Fehlern, unausgesprochenen Worten, betäubt und verstört, heulen wir rücksichtslos eine Hymne, nicht so sehr dem Leben, sondern unserer momentanen Lebendigkeit gewidmet. Wem sind wir überlassen?

Die Natur hat mich in ihrer Kontinuität immer mehr überzeugt als der Mensch. Auch bedingungslose Philanthropie fiel mir schwer, besonders vor dem Hintergrund der Kriege mit all ihrem Zynismus und ihrer Doppelmoral. Ich wollte einfach niemandem schaden. Ich wollte das Gute denjenigen schenken, die es von mir erwarteten. Das ist aber so wenig für eine umfassende Menschenliebe… Es war für mich einfacher, einzelne für mich ausgewählte Menschen zu lieben. Deswegen fühlte ich mich in den Städten oft beengt: an den Bahnhöfen, auf den Straßen und sogar auf den weitläufigen Plätzen. Die Steppen hingegen, unfruchtbar und lebensfeindlich, stießen die meisten Menschen ab, weshalb ich sehr stark dorthin wollte. Aber jede trockene Steppe muss an den grenzenlosen Ozean führen.

Ich mag die Idee der Eroberung und der Beherrschung nicht. Und ich möchte überhaupt nicht die Wellen bezwingen. Ich möchte durch die Steppenpfade zum Ozean laufen, die Kraft der Wellen auf meiner Haut und Muskeln spüren, wie sie mich tragen, hinausbringen, von meinem Surfbrett hinauswerfen. Ich möchte den Wellen meine Liebe gestehen. Ich erwarte, dass sie mich überfluten, so würde ich unter ihnen, den Atem anhaltend, hindurch tauchen, dann wieder an die Oberfläche kommen, um tief Luft zu holen, weiter einatmen, und noch einatmen.
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